"Oxymore" - Erste Infos zur Musik
"Oxymore" - Zurück zu den Anfängen
In einem Interview mit der französischen Musikzeitschrift "Les Inrocks" hat Jean-Michel erste Details über die bei den Konzerten am Wochenende zu hörende neue Musik verraten.
Das Ganze dürfte etwas experimenteller klingen und zumindest teilweise an Jean-Michels musikalische Anfänge erinnern.
Der Titel "Oxymore" ist übrigens keine Anspielung auf "Oxygene" (wie man vermuten könnte), sondern ist das französische Wort für "Oxymoron". Dies ist der Fachbegriff für eine Formulierung aus zwei sich widersprechenden oder sogar ausschließenden Begriffen, z.B. "alter Knabe".
"Oxymore" wird um und mit Klängen konzipiert, die Jean-Michel im Hinblick auf eine Zusammenarbeit von Pierre Henry, dem 2017 verstorbenen Pionier der elektroakustischen Musik, überlassen wurden. Henry arbeitete zusammen mit Pierre Schaeffer in der Groupe de Recherches Musicales, die auch Jean-Michel zu Beginn seiner musikalischen Laufbahn durchlaufen hatte und die beim damaligen öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTF angesiedelt war.
In dem Interview erklärt Jean-Michel, dass das Werk von Pierre Henry für ihn wegen seiner poetischen und bruitistischen Seite schon immer eine Quelle der Inspiration gewesen sei, besonders die Idee, nicht nur mit Noten, sondern mit Klängen zu komponieren.
Mit der Arbeit an "Oxymore" bei Radio France kehre er zu seinen Wurzeln zurück. Es sei eine Brücke zwischen analoger Musik aus Samples und Mustern sowie den digitalen Technologien des Raumklangs, des Mischens und des Komponierens.
Oxymore ist in elf Sätze unterteilt, eine Anspielung auf Pierre Schaeffers und Pierre Henrys erstes Werk der Musique Concrète "Symphonie pour un homme seul", das in 22 Sätze unterteilt war. Dabei sollen sich heftigere, "gewalttätige" Sätze mit sanfteren Sätzen abwechseln. Es gebe eine starke Verbindung zum Surrealismus in der Musique concrète, so Jean-Michel. Das Ganze sei näher an dem, was er ganz am Anfang gemacht habe. Er habe "Oxymore" wie einen Film oder ein Ballett konzipiert, mit einer unterschwelligen dramaturgischen Entwicklung, die von einer Atmosphäre in eine andere führe, und mit Elementen, die unlogisch oder widersprüchlich erscheinen mögen.
Die Klänge von Pierre Henry hätten sich ganz natürlich integriert, so Jean-Michel. Sie seien in erster Linie eine Inspirationsquelle für ihn gewesen, eine Möglichkeit, einen Gang zurückzuschalten und sich wieder auf die Texturen des Klangs zu besinnen.
"Heute stehen uns im Elektrobereich oder sogar in der aktuellen Musik jede Menge digitale Werkzeuge zur Verfügung. Man kann also schnell zu einem Ergebnis kommen und die Klangstruktur vergessen. Man setzt einfach Klänge zusammen. Das ist eine Tatsache, keine Kritik. Das große Talent von Pierre Henry bestand darin, eine Grammatik der Klangtexturen zu bestimmen. Oxymore ist hoffentlich eine überzeugende Brücke zwischen der bruitistischen und surrealistischen Seite der Musique concrète und der heutigen Musik."
Das Konzert wird auch in Echtzeit nach "Oxyville" übertragen, einer virtuellen Stadt, die Jean-Michel Jarre als Vorposten eines im Bau befindlichen Metaversums erschaffen hat.
Hierzu noch ein Hinweis: Die VR-Performance des Konzerts ist nur über VRChat zu sehen und wird nicht auf anderen Kanälen gezeigt.
Auf der Seite des Hyperweekend-Festivals findet sich abschließend noch eine interessante Ankündigung:
"Zwischen Konstruktivismus und Impressionismus lädt "Oxymore" das Publikum ein, sich auf einer unerwarteten akustischen Reise zu verlieren, und schlägt eine Brücke zwischen den historischen Klangwurzeln von Radio France und seinen jüngsten Innovationen. Das Werk stellt eine Verbindung zwischen der Abteilung für klassische/zeitgenössische Musik und dem Sektor für aktuelle Musik her und markiert symbolisch den Start der "Jarre Académie du Son", die vom Maison de la Radio et de la Musique und Jean-Michel Jarre initiiert wurde."
Die Akademie soll Künstler im Bereich des immersiven Klangs hervorbringen.
UPDATE 20.01.: Tickets für VR-Performance vergriffen; Playlist der Radiosendung
Fünf der insgesamt sechs "Oxymore"-Konzerte werden auch als Virtual Reality-Performance über VRChat zu erleben sein. Die dafür erforderlichen kostenlosen Tickets sind inzwischen aber alle vergriffen. Pro Konzert können je 200 Personen die Darbietung auch virtuell erleben.
Die von Jean-Michel zusammengestellte Playlist für die Sendung "L'Expérimentale", die am Sonntagabend von 23:30 bis 00:30 Uhr nach dem letzten Konzert zu hören sein wird, besteht aus Stücken aus dem Repertoire der Groupe de Recherches Musicales. Folgende Titel werden zu hören sein:
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Pierre Schaeffer & Pierre Henry: "Symphonie pour un homme seul" premier mouvement : "Prosopopée 1" (1950)
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Pierre Schaeffer: "Études aux objets" premier mouvement : "Objets Exposés" (1959)
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Beatriz Ferreyra: "Médisances" (1968-1969)
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François Bayle: "Espaces inhabitables" premier et deuxième mouvement " Jardin de rien" & "Géophonie" (1967)
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Bernard Parmegiani: "Pop eclectic" (1968)
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Luciano Berio: "Omaggio a Joyce" (1958)
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Luc Ferrari: "Petite symphonie intuitive pour un paysage de printemps" (1973)
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Christian Zanési: "Le paradoxe de la femme-poisson" troisième mouvement "Jardin sous l’eau" (1998)
UPDATE 21.01.: Weitere Infos zu "Oxymore"
In einem Bericht auf der Internetseite France musique kann man weitere Details über die Produktion von "Oxymore" und auch das Klangerlebnis bei den bevorstehenden Konzerten erfahren. Darin wird "Oxymore" gleich zu Beginn als "verstörend" bezeichnet, aber auch als "eine brodelnde Kreation, ein organisches und akustisches Totalerlebnis".
Zum Klangerlebnis bei den Konzerten heißt es: "Die Zuhörer, die sich in der Mitte der Agora versammeln und von 17 Lautsprechern umgeben sind, werden über 50 Minuten lang in ein Klangbad getaucht, das sie auf eine unbewegliche 360-Grad-Reise mit sogenanntem Mehrkanalton schickt. "Mehrkanal bedeutet, dass Klänge von überall her kommen. Für mich ist das kein Geek-Ansatz: Es geht darum, zum natürlichen Hören zurückzukehren", wird Jean-Michel in dem Bericht zitiert. "Stereo gibt es in der Natur nicht. Wenn ich mit Ihnen spreche, bin ich in Mono, der Vogel, der singt, ist in Mono, das Auto, das vorbeifährt, ebenfalls. Und heute sind wir technologisch in der Lage, das zu reproduzieren".
Dies auch im Kompositionsprozess umzusetzen war offenbar eine Herausforderung. JMJ: "Für Mehrkanaligkeit zu komponieren ist etwas völlig anderes, als für ein Orchester oder für Stereo zu komponieren. Oft schreibt man Musik, die man sich von vorne anhören wird. Mehrkanaligkeit bringt also eine Reihe von Problemen bei der Platzierung im Raum mit sich: Stellen Sie sich vor, Sie würden alle Elemente eines Symphonieorchesters voneinander trennen! Es wird überhaupt nicht mehr gleich klingen, man muss die Verschmelzung wieder herstellen."
Seit Mitte Oktober hat Jean-Michel intensiv an dem Projekt gearbeitet. Dabei komponierte er die Musik zunächst in seinem Studio und arbeitete dann mit einem Toningenieur im Maison de la Radio, um die musikalischen Objekte wieder so im Raum zu platzieren, wie er das zum Zeitpunkt des Schreibens konzipiert hatte.
Hervé Déjardin, Projektmanager in der Abteilung Audio-Innovation von Radio France hörte sich zwei Wochen lang Jean-Michels Spuren mit den Referenz-Stereos an, um die räumliche Ebene zu klären und Vorschläge zu machen. Der Raum musste "ausbalanciert" werden, damit der Klang von überall her kommt. Auf die musikalischen Emotionen, die Rhythmik musste reagiert, aber auch die Energie der elektronischen Musik erhalten und die "Persönlichkeit der Klänge" berücksichtigt werden. Gemeinsam mit Jean-Michel wurde dann im Studio sehr genau an der Abmischung gearbeitet. Laut Déjardin habe Jean-Michel schon seit langem Mehrkanalmusik machen wollen. Die Technik habe sich aber in den letzten fünf Jahren enorm weiterentwickelt.
In der Radioübertragung soll die Musik als binaurale Version zu hören sein.
Zu seinem Auftritt bei Radio France sagt Jean-Michel abschließend: "Es ist sozusagen die Erfüllung eines Wunsches, den ich von Anfang an hatte. Ich bin ein Kind des Maison de la Radio und habe in der Groupe de Recherche Musicale unter anderem mit Pierre Schaeffer begonnen, konkrete und elektroakustische Musik zu studieren. Wenn es heute eine Legitimität für diese Musik gibt, die zur populärsten Musik der Welt geworden ist, wissen nur wenige, dass sie hier dank der beiden Pierres, Henry und Schaeffer, entstanden ist. Dieses Werk soll in gewisser Weise auch dieses Haus feiern, in einer Zeit, in der manche den Nutzen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Frage stellen. Man sieht, wie bahnbrechend und wegweisend dieser im Bereich der Klänge ist."
UPDATE 23.01.: Erste Eindrücke von "Oxymore"
Die Reaktionen von Konzertbesuchern und Teilnehmern an der VR-Performance waren überwiegend positiv. Die Musik wird allgemein als einer Veröffentlichung wert beurteilt, eher als "Amazonia". Auch die Reaktionen auf die VR-Performance waren sehr positiv. Die Konzerte selbst waren wohl optisch relativ unspektakulär, das Erlebnis bestand wohl in der Tat hauptsächlich im Raumklang. Da wohl nicht fotografiert werden sollte, findet sich im Netz bislang wenig dazu. Ein paar Schnipsel aus der VR-Performance geben auf YouTube einen ersten Eindruck. Um die Musik zu beurteilen ist das aber zu kurz. Einen etwas längeren Mitschnitt gibt es hier.
Ein Mitschnitt der "Masterclass" (auf Französisch) findet sich hier.
Das letzte Konzert am heutigen Sonntag soll ab 21:30 im Radio und als Stream übertragen werden. Inklusive Vor- und Nachprogramm (u.a. ein Interview mit Jean-Michel und von ihm ausgewählte Musikstücke der Groupe de Recherches Musicales) geht die Sendung von 20 Uhr bis 00:30 Uhr.
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Kommentar von Jarre-Fan |
Es sieht wohl so aus, dass Oxymore in der zweiten Jahreshälfte 2022 als Album veröffentlicht werden soll - laut den Entwicklern der VR-Stadt Oxyville.
Kommentar von Heike |
Ich habe die Übertragung leider nicht hören können, aber nachdem was Michel Geiss auf FB beschrieben hat, muss es wohl innovativ und beeindruckend gewesen sein.
Ich kopiere hier mal die ( nicht korrigierte) Übersetzung aus dem Französischen rein.
Oxymoron - Jean-Michel Jarre
Gestern Abend habe ich trotz einer Nacht im Flugzeug die Einladung von Jean-Michel Jarre angenommen, an seinem Konzert "Oxymore" in der Agora von Radio France teilzunehmen.
Ich hatte keine Ahnung was ich hören würde, aber nur das es eine Hommage an Pierre Henry war. Nicht unbedingt von diesem Konzert überzeugt, umso freier fühle ich mich meiner Meinung nach.
Ich gebe zu, dass mich diese Leistung aus mehreren Gründen besonders verführt hat: Qualität und Reichtum der Klänge, globaler Raummanagement und Originalität der Arbeit.
Eine der Besonderheiten des Konzerts war seine Multisources-Sendung, 360 Grad Schalltauchen. mit hervorragender Audioqualität. Die Raumfahrt wurde sehr gut verwaltet.
Die Musik selbst war eine Hommage an Pierre Henry, dessen elektroakustische Kompositionen aus Mischungen von Klängen und Geräuschen seine Zeit geprägt haben.
Weit weg von allen Melodien war das Konzert vor allem eine Verbindung zwischen den Kompositionen des Typs "Soundobjekte" aus dem Bereich der Elektroakustik und der heutigen Elektro.
Kein "breite Öffentlichkeit"-Ansatz, sondern eine Reihe von Teilen, deren abstrakter Inhalt neben Elektroelementen lag.
Besonders gelungen und kreativitätsreich fand ich diese Mischung, eine Art Brücke zwischen ihren Jahren bei GRM, Zoolook und ihren neueren Ansätzen.
Auch ich war beeindruckt und bewundernswert, wie viel Vorbereitungsarbeit geleistet wurde, um zu einem solchen Ergebnis zu kommen.
Kurzum, eine sehr schöne Überraschung von jemandem, der mit weit überdurchschnittlicher Energie weiter innoviert.
Kommentar von Jarre-Fan |
Die Oxymore-Radiosendung als MP3-Datei:
https://media.radiofrance-podcast.net/podcast09/20601-23.01.2022-ITEMA_22909254-2022M36350S0003-21.mp3
Kommentar von Sebastian |
Ich höre gerade der Radiosendung zu und für mich hört sich das nach einer EON Komposition an.
Da sind so viele coole Sounds und Ideen zu hören und ich finde, JMJ sollte diese Ideen besser ausarbeiten und nicht per Zufall abspielen lassen.
Kommentar von Jarre-Fan |
Hier nochmals der Link zum Radioprogramm 20:00 - 0:30 Uhr:
https://www.francemusique.fr/emissions/carrefour-de-la-creation-l-integrale/carrefour-de-la-creation-du-dimanche-23-janvier-2022
Kommentar von Heike |
Vielen Dank Jarre- Fan !!! Ist erstaunlich, was noch so alles auftaucht. Ich dachte immer, ich kenne alles ;-)
Kommentar von Jarre-Fan |
Die beiden Tracks finden sich auf einer erweiterten JMJ Rarities-Sammlung:
https://FanJarre.Blogspot.com/2020/05/reupload-jean-michel-jarre-rarities.html
Sie sind auch mehrfach auf YouTube zu finden, z.B. als Teil anderer Frühwerke:
https://www.YouTube.com/watch?v=tWJ1h0SPETE
Kommentar von Heike |
Danke Matthias ! Ich war vorher nicht sicher, ob diese Titel wirklich von ihm sind .Ob man ihn heute noch darauf ansprechen kann ? (grins) Mal schauen, was noch so alles auftaucht !?
Kommentar von Matthias |
@Heike:
Ja, das Ding ist bekannt. Samuel Hobo heißt der Mann. Die Single ist von 1972. Es gibt da noch mehr so kurioses Zeug.
Kommentar von Heike |
Liest sich interessant !
Ich habe Ende letzten Jahres zwei MP3 s von bisher unbekannten Werken von Jean Michel bekommen, die aus der Zeit stammen könnten.
Kennt jemand von euch die Titel: "Freedom Day" und "Synthetic Man" (Wohl A-und B- Seite) . Das Plattencover wurde mir auch per Mail geschickt (sieht ziemlich alt aus)
Er hat die beiden Stücke (wenn es denn wirklich seine sind) mit Samuel Hoss (oder Ross ? - Kann ich nicht genau lesen) produziert, der dazu singt. Total krass und lustig ! Ich konnte mir ein Kichern nicht verkneifen.
Kennt die Stücke jemand von euch ?